„Es ist ein irrer Wahlkampf bisher gewesen“, sagt der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck. „Es kann für alle Parteien noch deutlich nach oben – Klammer auf – natürlich auch nach unten gehen“, ist Habeck sicher. Bezüglich einer Strategie für das nächste Triell am kommenden Sonntag erklärt Robert Habeck, dass man „immer ein bisschen vorbereitet in diese Auseinandersetzungen“ gehe. Richtig finalisiert wird die Strategie aber erst „in den Stunden zuvor“. „Wir tun gut daran, jetzt nicht zu verkrampfen, engagiert zu kämpfen, unsere Argumente vorzutragen und die Chance zu nutzen, dass der Wahlkampf noch inhaltlicher wird. Das spielt uns in die Karten, da sind wir gut aufgestellt“, empfiehlt Habeck seiner Partei und den Wahlkämpfenden.
Wie schon bei den vergangenen Bundestagswahlen so stellen sich auch im Wahlkampf 2021 die Spitzenkandidaten der momentan im Bundestag vertretenen Parteien im Interview den Fragen der NRW-Lokalradios. Im Gespräch stellte sich nun Robert Habeck, Spitzenkandidat Bündnis 90/Die Grünen, den Fragen von Chefreporter Timo Schnitzer.
„Der Wahlkampf hat eine irre Entwicklung genommen. Alle sind davon ausgegangen, dass es ein Wettlauf zwischen Grünen und CDU wird – wir auch. Das ist jetzt ein Triell geworden und wir sind ein bisschen zurückgefallen. Hätte man Anfang des Jahres gesagt, dass Olaf Scholz Kanzler wird und die SPD möglicherweise die stärkste Partei, hätte man wahrscheinlich einen Kasten Bier gewinnen können bei niedrigem Einsatz“, analysiert Habeck den Verlauf der letzten Monate.
Bezogen auf das Triell vom letzten Wochenende entstand der Eindruck, dass Annalena Baerbock sehr gelöst und entspannt wirkte. Gedanklich vom Kanzleramt verabschiedet haben sich die Grünen aber nicht: „Nein, ich habe diese Interpretation auch hier und da schon gehört, aber die halte ich für falsch. Richtig ist, dass Annalena Baerbock … konzentriert, aber souverän aufgetreten ist. Das liegt aber nicht daran, dass wir aufhört hätten zu kämpfen und es ist auch nicht richtig, dass wir nichts mehr zu verlieren hätten“, so Habeck.
Ob Habeck davon ausgehe, dass die Grünen in jedem Fall Teil der nächsten Bundesregierung sein werden: „Auf jeden Fall wäre ein zu großes Wort, weil wir 2017 gesehen haben, dass sich Sondierungs- oder Koalitionsgespräche auch verkeilen können… Am Ende ist eine Restungewissheit immer gegeben. 2017 wollte auch keiner mehr die Große Koalition haben – sie ist sogar im Wahlkampf ausgeschlossen worden
– und dann ist sie doch zustande gekommen… Dass Deutschland ein Bündnis bekommt, dass gar nicht zur Zeit passt, das ist nicht komplett auszuschließen, aber ich würde auch denken, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist. Wir stellen uns jedenfalls sehr auf eine Regierungsbeteiligung ein“, so der Grünen-Chef.
Zum Ende der Amtszeit von Bundeskanzlerin Merkel spürt man, dass „Deutschland in einer Umbruchssituation ist“. Unabhängig, wer Kanzler wird, müssen „Themen wie die globale Ordnung, die vordringende Digitalisierung und natürlich auch der Klimawandel anders politisch bearbeitet werden, als das in den letzten 16 Jahren Stil der Großen Koalition war, Schwarz-Gelb mit der Ausnahme zwischendurch“, sagt Habeck. „Ein bisschen selbstkritisch für die politische Klasse gesprochen: Der Wahlkampf und die Wirklichkeit haben nicht wirklich zueinander gepasst, da hat der Wahlkampf noch nicht ran gereicht. Aber er war jedenfalls anders. Die Gesellschaft ist hoch politisiert, hoch neugierig und hoch auf Orientierungssuche, das spürt man überall.“
Da bald eine Ära zu Ende gehen wird, gibt es auch Fragen zu der noch amtierenden Bundeskanzlerin: Angela Merkel ist für Robert Habeck „eine der präzisesten Denkerinnen Deutschlands“. „In der analytischen Schärfe“ sei Merkel „beindruckend, vorbildhaft – auch für kommende Politikergenerationen“.
Dass die Bundeskanzlerin sich in der Coronakrise für die Osterruhe bei den Bürgern entschuldigt hat, zeugt aus Sicht von Robert Habeck von Größe: „Die Kraft, die man als Spitzenpolitikerin, als Spitzenpolitiker aufbringen muss, um auch mal Entschuldigung und Verzeihung zu sagen, ist eine große, das hat mir eher imponiert. Dass jemand sich hinstellt und sagt ,ich nehme die Verantwortung auf meine Kappe‘, das hätte ich mir auch bei Afghanistan gewünscht“, so Habeck. „Es stand ja immer die Frage im Raum, wer soll zurücktreten? Rückblickend würde ich sagen, alle hätten zurücktreten müssen, die gesagt haben, ,ich war es nicht‘. Alle, die sagen können, ,ich habe es entschieden, es war ein Fehler‘, die können bleiben. Weil sie die Kraft dazu gefunden haben, sich zu bekennen“, erläutert Robert Habeck.
Das gesamte Interview wird am Donnerstag, 16.09, ab 11.00 Uhr bei den NRW-Lokalradios ausgestrahlt (zeitliche Verschiebungen bei einzelnen Lokalradios möglich). Außerdem kann man das Gespräch nach Ausstrahlung online auf den Websites der Lokalradios nachhören.
Ina Pfuhler
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